Freitag, 15. August 2003

Kailash - Kora Tag 2


2. Tag der Kora!

Fühle mich am Morgen sehr schlecht, kann mich kaum auf den Beinen halten, nach dem einpacken von See- und Rucksack bin ich völlig erschöpft.

Glaube nicht, dass ich den Dölma La schaffen werde. Ein steiler Anstieg von ca. 700m steht bevor.

Trinke einige Tassen Tee, würge einige Löffel Müsli hinunter, dann gehe ich langsam als erster los  (da mich die anderen sowieso einholen werden).
Das Gesicht habe ich mir mit einer Balaclava geschützt.

Nach ca. einer halben Stunde Aufstieg hat mich die gesamte Gruppe – mit Ausnahme der Yakreiter – eingeholt.

Anette und Barbara bilden das Schlusslicht der Gruppe und legen einen langsamen Schritt vor bzw. warten sie auf mich.

Es geht jetzt relativ steil bergauf in das Gebiet von Shivastal (Leichenacker). Hier lasse ich ein T-Shirt von mir zurück (hab einen kleinen Felsen damit angezogen).
Sind jetzt schon über 5000m hoch.

Zahlreiche andere Leute (Pilger und Touristen) sind unterwegs. Am schlimmsten sind die Inder beinander. Schwer von der Höhenkrankheit gezeichnet schleppen sie sich zum Teil gestützt auf ihre tibetischen Begleiter dahin, um sich nach wenigen Schritten sofort wieder für einige Minuten niederzusetzen und auszuruhen. Andere sitzen (oder hängen irgendwie) dick eingemummt wie Michelin-Männchen auf dem Rücken ihrer Yaks (einige auch auf Pferden) und lassen sich hinaufschleppen.

Mir selbst geht es auch nicht besonders gut. Mühsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Wie die Pilger versuche ich einige Mantras zu murmeln. Das bringt zwar den richtigen Rhythmus – kann ich aber nicht mithalten, weil ich wieder stehen bleiben muss – also keine Mantras...

Der Weg geht jetzt etwas flacher zwischen großen Steinblöcken dahin, man sieht auch schon den letzten steilen Anstieg zur Passhöhe (ca. 200m steiler in vielen Serpentinen gelegener Weg durch ein mit großen Blöcken versehenes Geröllfeld).
Sehr langsam winden sich Menschen und Tiere den Weg hinauf.

Von meinem jetzigen Standpunkt erscheint es mir unmöglich, jemals den Pass zu erreichen – also schaue ich gar nicht mehr hinauf, sondern konzentriere mich nur mehr auf meine Schritte, den Boden vor meinen Füßen, die Atmung usw.
„Ein Anstieg noch, dann hast du’s“, meint Barbara – und dann verschwinden sie und Anette langsam aus meinem Blickfeld.

Ich beginne den Anstieg: 2 – 3 Schritte, Pause, Verschnaufen, wieder 2 – 3 Schritte usw. Es geht.... muss es ja

Ich überhole einen jungen Italiener, dem es noch schlechter geht – er muss sich ständig niedersetzen (ich kann mich zumindestens noch auf meinen Beinen halten) und werde andererseits wieder von Leuten überholt. Darunter auch einige Tibeter, die auch an der Höhe zu leiden scheinen (etwas)

Leute kommen vom Pass herunter entgegen (Bön-Anhänger, die die Kora in entgegengesetzter Richtung machen).
Ich erwidere keuchend das freundliche „Tashi delek“, das sie mir entgegenrufen.

Beim Blick zurück sehe ich, dass nun einige Yak-Karawanen aufholen.
Scheiße! Der Weg ist eng und steil und es besteht Gefahr, von den Tieren umgestoßen zu werden. Sie sind zwar eher scheu und weichen von selbst aus, aber der Yak weiß natürlich nicht, dass er durch sein aufgetürmtes Gepäck hinten breiter ist als normal – und wenn die ganze Horde auf einen zustürmt – die riesigen Yakbullen mit ihren großen Hörnern sehen schon furchterregend aus. Dazwischen überall die Yaktreiber, die ihre Tiere mit schrillen Pfiffen und Steinwürfen antreiben – ab und zu geht schon mal eines der Tiere durch.

Also kurz gesagt, ich beschließe, mir ein ruhiges, von Felsen allseits geschütztes Plätzchen zu suchen und die Yaks vorbei zu lassen. Da kann ich mich auch gleich ausrasten.

Die erste Gruppe zieht vorbei – es geht schneller als ich dachte.
Es sind wieder die Inder – sehen wirklich mehr tot als lebendig aus, wie sie so auf den Yaks hängen...

Gehe langsam weiter und lasse die nächsten Yaks durch (von den Italienern).
Als ich ca. 2/3 des Anstiegs geschafft habe, kommt die dritte Yak-Karawane – es sind unsere!
Zuerst kommt Rosemarie auf ihrem Reityak, Matthias, der auf seinem Tier auch nicht gerade fit aussieht, schließlich Bert (zu Fuß! – sein Yak hat’s nicht derschnauft...).
Keucht, fragt mich wie weit es noch ist...
Zucke die Achseln und deute in Richtung Passhöhe – ein kleines Stück...
Dann kommen die Gepäckstiere und abschließend Keshi, mein Lieblingssherpa und Paras. Keshi hat in einer Thermoskanne heißen Saft dabei, den ich gerne annehme. Sein Angebot, meinen Rucksack zu tragen, lehne ich ab...

Endlich ereiche ich die Anhöhe, sehe, dass es nur eine Art „Vorpass“ war – es ist schon noch ein Stück. Die Gebetsfahnen kann man schon sehen. Der Weg führt zwischen großen Steinblöcken aber nicht mehr ganz so steil dahin.

Seit mich nun wirklich alle überholt haben (auch der letzte Yak) bin ich nun völlig überzeugt, dass ich den Dölma La erreichen werde. Ich taumle nicht mehr so dahin (wahrscheinlich hat mir auch der heiße Saft gut getan), sondern gehe langsam aber sicher mit einigen Verschnaufpausen dahin.

Knapp vor der Passhöhe sehe ich links den Stein der Dölma.
Eine tibetische Familie mit Kleinkind ist gerade dabei, ihre Opfer zu bringen.

Ich weiche etwas vom Hauptweg ab, gehe ebenfalls in Richtung Stein und dann auf den großen Felsbrocken weiter in Richtung Ziel. Man sieht schon große Pfähle mit unzähligen aufgespannten Gebetsfahnen, das Ziel ist jetzt wirklich zum Greifen nahe.

Keshi sieht mich, kommt mir entgegen, hat wieder Saft für mich, meinen Rucksack kriegt er wieder nicht, aber meine Stöcke darf er mir abnehmen. Der Sherpa begleitet mich die letzten Schritte bis zum Dölma La.

Dann bin ich endlich oben. Geschafft!
Erschöpft aber glücklich.

„Congratulations, Sir“, ruft Paras, der jüngste unserer Sherpas und gibt mir Tee.
Einige der Gruppe (selbst noch etwas bleich und gezeichnet vom Aufstieg) lächeln mir zu – die meisten sind schon wieder etwas abgestiegen – es ist windig und kalt.

Langsam versuche ich, die ganzen Eindrücke aufzunehmen.... es geht nicht...
ich bin zu benommen aber ich habe es wirklich geschafft...

Keshi gibt mir noch etwas heißen Saft, dann hilft er mir beim Befestigen meiner kleinen Gebetsfahnen (ich habe sie in Kathmandu gekauft und die ganze Zeit bei mir getragen um sie hier am Dölma La zu opfern)

Mein Höhenmesser zeigt irgendetwas über 5400m an. In der Literatur bzw. den Karten stehen wieder andere Werte: 5600, 5700... – egal der Pass ist erreicht, was soll’s...

Barbara macht noch ein paar „Beweisfotos“ von mir – dann machen wir uns an den Abstieg. Die ganze Gruppe hat den Dölma Pass geschafft.

Es folgt nun ein steiler Abstieg vorbei am Gaurikund (kleiner Süßwassersee).
Irgendwo treffen wir den Rest der Gruppe, essen unsere Lunchpakete (ich hab ja keines mitgenommen – verzehre ein paar Müsliriegel...)

Wir steigen weiter ab bis ins „Tal“ auf etwa 5000m.
Hier stehen einige Nomadenzelte. Buttertee!
Einige wollen auch, ein Teil geht weiter.
Barbara geht unsere Yaks suchen, da die Yakmänner schon wieder über alle Berge sind und natürlich auch die Reityaks mitgenommen haben.
Bert ist sauer und spendiert erst mal eine Runde Buttertee. Im Zelt müssen wir uns ziemlich zusammenrücken, einige Japaner sind bereits da, ein Inder hat sich flachgelegt...
Was soll’s, es ist warm, gemütlich, draußen beginnt es zu regnen  - und der Tee schmeckt (?)...

Schließlich gehen wir weiter...
Wir haben noch ca. 3 Stunden Fußmarsch bis zum Lager vor uns!
Es geht zwar jetzt leicht bergab entlang eines Baches – der ganze Weg wirkt irgendwie wie eine feuchte sumpfige Almwiese – alles grün allerdings weit über 4500m.
Barbara kommt uns entgegen – die Yaks warten hinter der nächsten Kurve – wie gerne wäre ich die restlichen Stunden jetzt auch auf einem Yak geritten...

Auf einmal bin ich schon wieder der Letzte!
Der Weg scheint endlos, zwar schön, alles grün, das Wasser usw.
Aber es zieht sich...

Ich lasse mir schließlich doch noch von Barbara (die eine extrem gute Kondition zu haben scheint – läuft über 5000m herum, als ob nichts wäre, stellt Zelte auf und raucht dabei noch wie ein Schlot...), lasse mir also meinen Rucksack abnehmen und trotte mit 2 Paar Stöcken hinter unserer Reiseleiterin her, die ein relativ forsches Tempo (trotz doppeltem Gepäck) vorlegt. Wir kommen gut voran.
Einmal müssen wir noch Barbaras Schuhe neu kleben (Sie hält sie schon seit Simikot nur mehr mit Tapeverbänden zusammen).
Ich nütze die Gelegenheit, um meinen Rucksack wieder an mich zu nehmen.

Endlich erreichen wir das Lager auf 4700m.
Mein Zelt steht schon...

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